Dienstag, 24. Februar 2009

"Frankophon - Frankophil?" - Der Versuch eines Resumés

So liebe Freunde :),

Ich weiß es ist einige Zeit her, dass mein "letzter" Eintrag hier gemacht wurde. Dennoch möchte ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen ein Fazit zu meiner Zeit in Frankreich zu ziehen und am Ende auch zu begründen versuchen, ob und wenn ja warum ich euch oder anderen auch empfehlen würde, sowas einmal zu machen.

Essai: Frankophon - Frankophil?

  4 Monate in einem (gar nicht so) fremden Land und ihre Folgen 


Sprachen, so heißt es oft, sind grundlegender Bestandteil des Lebens in unserer so vernetzten heutigen Welt, denn sie ermöglichen Verständigung. Verständigung wiederum ermöglicht Austausch, Austausch ermöglicht neue Erkenntnisse, neues Wissen - eine neue Denk- und Sichtweise. Und da dies für mich schon seit einiger Zeit klar war und mich Sprachen immer schon auf eine Weise fasziniert haben, entschied ich mich dafür, einige Zeit ins Ausland zu gehen. Nachdem ich mein Glück beim Erreichen eines Stipendiums für die Staaten versucht hatte, fiel mein Blick auf unseren, für seinen guten Wein und sein Stangenweißbrot bekannten Nachbarn, mit dem ich schon einmal gute Erfahrungen gemacht hatte: Frankreich.
   
 Durch meine vorherigen Austauscherfahrungen mit dem Schumann-Programm angetrieben und von meiner Französischlehrerin entscheidend unterstützt, nahm ich Kontakt zu unserer Partnerschule in Brunoy bei Paris auf. Nur eine Anfrage, ob es denn in der Première (~11-12. Klasse) jemanden gäbe, der Interesse daran hätte, mich 4 Monate lang zu beherbergen und siehe da: Nach kurzer Zeit erhielt ich Meldung aus Frankreich - Familie Germain wollte mich gerne aufnehmen. So begann dann der erste gegenseitige Kontakt und schnell rückte auch der 30. August immer näher. Der eine Monat Schule, den ich zuvor noch in Deutschland verbrachte, war geprägt von massenhaften Stundenausfällen und Chaos auf dem Vertretungsplan. Im Vorfeld der Abfahrt - der Abschied von meiner Freundin - eine traurige Angelegenheit, aber die Aussicht auf das Wiedersehen war schon ein kleiner Trost. Die "A bientôt"-Party war schon am Wochenende davor gewesen um Hektik und Probleme zu vermeiden (ironischer Weise habe ich mir dann bei der Party den Daumen fast gebrochen).
So kam er dann, der lang ersehnte und ebenso gefürchtete Tag. Wir mussten früh los, doch das Aufstehen fiel mir an diesem Morgen nicht schwer, ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Und so kamen wir dann nach 5 Stunden Autofahrt vor einem etwas rostigen Eingangstor zum Stehen. 
Die Begrüßung lief noch ein klein wenig steif ab, aber nachdem ich mich von meinen Eltern verabschiedet hatte, ging es sozusagen ans Eingemachte. Meine Gastfamilie, die Germains (einigen hier sicherlich bekannt 
;-) ), stellte sich als sehr liebenswürdig heraus und trotz des typisch französischen Hauses (klein, bereits etwas älter, teilweise renovierungsbedürftig) fühlte ich mich schnell wohl. Was mir sehr gefallen hat, war z.B., dass sie sehr international orientiert und offen waren: Nienke, meine Gastmutter kam nämlich aus den Niederlanden und so sprachen auch ihre beiden Kinder Yann und Rozenn mehr oder weniger perfekt Niederländisch. Das wurde auch genutzt: Die Gespräche bei Tisch waren so mit Calembours (Wort-/Sprachwitze) gespickt, dass man immer aufpassen musste, nicht vor Lachen loszuprusten. Auch die Tatsache, dass die Familie einen großen Labrador besaß, hatte mir zu Beginn ein wenig Respekt eingeflößt, doch schnell war auch das verflogen. Yann, mein Gastbruder, ist ein wirklich lieber Zeitgenosse, auch wenn es einiger Aufwärmzeit bedurfte, um ihn besser kennen zu lernen. Doch eins verging nicht ganz so schnell: Zu Beginn hatte ich großes Heimweh; Trotzdem hatte ich zu keinem Zeitpunkt wirklich den Wunsch, einfach so nach Hause zu fahren.
Obwohl ich ja vorher schon mehrmals einige Wochen in Frankreich gelebt hatte, brauchte ich eine gewisse Gewöhnungsphase an die französischen Bräuche und Gepflogenheiten: Oft sind es hier Kleinigkeiten, die in der Summe viel aus machen. Kleinigkeiten, das sind Dinge wie die typisch französische „Bise“, also das Küsschen auf die Wangen, die wohl jedem halbwegs Frankreich-bewanderten sofort in den Sinn kommt. 
 Doch das ist bei weitem nicht alles: Zu nennen wäre hier zum Beispiel das „tremper“, also Tunken. Getunkt wird einfach alles: beim Frühstück Brot in Milch und Kaffee, beim Mittag-/Abendessen Baguette ins Essen (Suppe etc.), ja es gibt sogar extra Kekse zum in den Sekt Tunken … 
 Doch bevor ich das alles hatte erleben können, begann dann nach den ersten 3 Tagen auch für mich das, was für einen französischen Jugendlichen 80% seiner Zeit in Anspruch nimmt: Die Schule. Dort verbrachte ich meine Zeit von morgens 8:30 Uhr bis ca. 18 Uhr, von Montags bis Freitags durchgehend mit Unterricht, sodass mir an Freizeit unter der Woche kaum Freiraum blieb. Jeden Freitag gab es dazu noch eine oder zwei Arbeiten von bis zu 4 Zeitstunden Länge. 
Ich traf also zum ersten Mal meine neue Klasse und sah das Schulgebäude wieder, in dem ich 2 Jahre zuvor schon einmal gewesen war. Es war irgendwie so, wie bei jedem anderen Austausch, den ich vorher gemacht hatte auch: Alle waren sehr interessiert an der Tatsache, dass ich Deutscher war und in jedem 2. Gespräch kam die Frage auf, wie ich denn auf die Idee käme 4 Monate lang die Schule zu "schwänzen".
Schnell hatte ich mich an meine Mitschüler gewöhnt, auch wenn es einige Zeit gedauert hat, bis ich komplett unabhängig von Yann war und auf eigene Faust Kontakte knüpfen konnte. Mit einigen habe ich mich in den 4 Monaten, die ich dort verbracht habe sehr gut angefreundet. Auch wenn sich eine solche Zeitspanne vielleicht sehr lange anhört - sie ist es keineswegs. Die Zeit ging wie in Flug vorbei und ich kann jedem, der gerne einen Austausch oder Auslandsaufenthalt machen will empfehlen, sich eine Dauer von > 4 Monaten zu überlegen. 
Aus Deutschland war ich ein sehr interaktives Schüler-Lehrer/Lehrer-Schüler und auch Schüler-Schüler Unterrichtssystem gewohnt gewesen – in Frankreich jedoch ist das anders. Hier wird hauptsächlich Frontalunterricht des Lehrers betrieben. Dies hat seine Wurzeln in dem überaus straffen, zentralistischen Schulsystem, welches hohe Maßstäbe vorgibt, die unter jeden Umständen einzuhalten sind. Abhängig sind die unterrichteten Fächer in der Oberstufe (Lycée) von der Wahl des sogenannten Gleises („voie“). Hier gibt es 3 Orientierungen: Scientifique („Wissenschaftlich“), Economique et sociale ( „Wirtschaftlich und sozial“), sowie Littéraire („Literarisch“). Ich selbst habe die Orientierung Scientifique gewählt, was bedeutet, dass ich 5 Zeitstunden Mathematikunterricht in der Woche hatte, 5 Stunden Physik/Chemie und vier Stunden Biologie.
 So sah meine Situation also aus. Eine Frage, die mir so ziemlich in jedem Gespräch gestellt wurde ist: „Welches Schulsystem gefällt dir besser?“ oder „Gehst du lieber hier zur Schule oder in Deutschland?“. 
Nun, die Antwort auf diese Frage ist, ehrlich gesagt, relativ komplex:
Zum Einen ist das Leben eines französischen Lycée - Schülers keineswegs ein Honigschlecken, denn es wird ein sehr hohes Arbeitspensum vorausgesetzt; weitaus höher als ich es in Deutschland erfahre. Außerdem war ich nach jedem Tag in der Schule sehr entkräftet und es dauerte immer einige Zeit bis ich wieder meine Kräfte beisammen hatte. Ferner hat man in Frankreich, im Gegensatz zu einem deutschen Schüler praktisch keine Freizeit unter der Woche. 
Jedoch hat das französische System keineswegs nur Nachteile: Ein Beispiel: Ich hatte nach der 10. Klasse in Mathematik das Gefühl, große Probleme zu haben und Mathematik war eins meiner unliebsten Fächer. Nun, nach 4 Monaten Unterricht in Frankreich habe ich Kenntnisse und vor allem Motivation für Mathe LK und bereue es Mathematik Grundfach gewählt zu haben. Im Allgemeinen bin ich mit dem Lernpensum an meiner deutschen Schule eher unzufrieden und fühle mich mit 30 Wochen-“Stunden“ in der 11. Klasse auf lächerliche Weise unterfordert. Nach der Ablehnung der Überbelegung mehrerer oder zumindest eines Grundkurses ist dies sehr frustrierend.
Zusammenfassend kann man sagen: Ich denke, dass Extreme in jedwedem Fall schlecht sind: Sei es zu viel oder zu wenig. Eine wirkliche Präferenz äußern, fällt mir hier also eher schwer. Ich würde eine Mischung aus beiden Schulsystemen bevorzugen, in der man als Schüler weder das Gefühl hat unter- noch überfordert zu sein und ebenso seiner kompletten Freizeit durch die Schule beraubt wird.
 
Ich habe insgesamt in sehr vielen Punkten von meiner Zeit in Varennes-Jarcy profitieren können: Ich habe nämlich nicht nur meine Sprachkenntnisse im Französischen ausgebaut, sondern auch viele nette Leute kennengelernt und viele Erfahrungen gemacht, die mein Denken vielseitig beeinflusst haben: Beispielsweise nehme ich jetzt viel bewusster wahr, wie viel Freizeit mir verbleibt, aufgrund der Tatsache, dass die Schule hier kürzer ist. Nun ist mir bereits und wird mir wohl auch in Zukunft noch oft die Frage über den Weg laufen, ob ich es denn empfehlen könnte, einen solchen Auslandsaufenthalt zu machen, speziell in Frankreich. Nun, das ist wieder einmal eine schwierige Frage, denn es ist abhängig von verschiedenen Kriterien: Ich denke ich würde jedem empfehlen, der schulisch nicht am untersten Ast hängt und ebenso wenig verschlossen gegenüber Neuem ist, ein Auslandsjahr generell zu machen. 
Die Erfahrungen die man macht und auch die Selbstständigkeit, die man durch so ein „auf sich gestellt-sein“ erlangt. Auch lernt man, die gewisse Offenheit vorausgesetzt, viele Menschen kennen und wenn man Glück hat sind einige dabei, mit denen man in engerem Kontakt bleiben kann. Diese Erfahrung gemacht zu haben bedeutet auf jeden Fall eine Bereicherung meines Lebens, und ich bin mir sicher, dass, die Toleranz vorausgesetzt, dies auch für andere gilt.


Ich würde die gleiche Entscheidung, diesen Aufenthalt zu machen, nochmal treffen, wenn mich im 10. Schuljahr nochmal entscheiden müsste, soviel ist sicher. Mir hat diese Zeit in vielen Dingen auf eine ganz eigene Weise die Augen geöffnet, die sehr viel Spaß gemacht hat und die ich wohl niemals vergessen werde. Ich persönlich bin auf jeden Fall „angefixt“ und möchte sobald wie möglich wieder ins Ausland – der Trip nach dem Abitur ist schon in Aussicht. Und wohin geht die Reise? Ins Ungewisse, soviel ist sicher. Frankophon? Vielleicht. Frankophil? Auf jeden Fall.